Investieren in Börsenzyklen
Investieren in Börsenzyklen
Große Börsenzyklen
Blickt man über den Tellerrand des Tagesgeschehens an den Börsen hinaus, erkennt man, dass sich von Zeit zu Zeit die beherrschenden Themen an den Kapitalmärkten grundlegend ändern. Mit ihnen wechseln auch die jeweils favorisierten Aktien:
- Weite Teile der 60er und Anfang der 70er Jahre waren von den sogenannten „Nifty Fifty“ geprägt. Das waren 50 Wachstumsaktien aus den USA mit starken Bilanzen, hohen Wachstumsraten und attraktiven Gewinnen. Zu den „Nifty Fifty“ gehörten Coca-Cola, McDonald’s, IBM, Xerox und Polaroid. Da viele Anleger davon ausgingen, dass diese Aktien nur steigen können, galt das Motto: Einmal kaufen und nie wieder verkaufen. Dadurch stiegen die Bewertungen dieser Unternehmen in immer luftigere Höhen. Als klar wurde, dass diese Unternehmen ein Wachstum, das eine solche Bewertung rechtfertigt, nicht aufrechterhalten können, kam es Ende 1972 zum Favoritenwechsel.
- Die 70er Jahre waren dann von Ölpreisschocks und Inflation geprägt. Am Ende des Jahrzehnts kamen die teuersten Aktien der Welt meist aus dem Energiesektor.
- Die 80er Jahre standen ganz im Zeichen des Aufstiegs Japans. Zu Jahresbeginn 1990 kamen sieben der größten zehn Aktien der Welt alle aus dem Land der aufgehenden Sonne (siehe Darstellung auf der nächsten Seite) und der MSCI-World Index bestand zu rund 40 % aus japanischen Unternehmen. Den seinerzeitigen Höchststand von 38.915 Punkten hat der Nikkei erst wieder im Februar 2024 erreicht.
- In den 90er Jahren kamen viele neue aufstrebende Unternehmen an die Börse, das Internet war das dominierende Thema. Es sollte die Welt verändern und hat die Welt verändert. Zunächst wurden Unternehmen wie Cisco, Yahoo, AOL, Lucent und andere auf Jahre hinaus als unangreifbar angesehen. Hierzulande erfreuten wir uns kurzzeitig am Neuen Markt und die Deutsche Telekom schaffte es sogar auf Platz 10 der weltweit größten Unternehmen (siehe nächste Seite). Der Rest ist bekannt.
- Nach dem Platzen dieser Blase entdeckte die Börse in den Nullerjahren das Potential der Emerging Markets (Entwicklungsländer). Auch sie sollten die Welt fundamental verändern, was sie tatsächlich auch getan haben. Energie und Rohstoffe waren dabei genauso gefragt wie Konsumaktien, um den steigenden Bedarf zu decken. Dementsprechend fanden sich am Ende dieser Phase mit Petrochina, den zwei chinesischen Banken ICBC und der China Construction Bank sowie der brasilianischen Petrobras auch Unternehmen aus den aufstrebenden Regionen unter den größten Unternehmen der Welt (siehe nächste Seite).
- Nach der globalen Finanzkrise begann der aktuelle Börsenzyklus.
In all diesen Börsenzyklen verändert sich die Wahrnehmung der Anleger. Sind sie zunächst demütig und fokussiert auf das Hier und Jetzt, ändert sich das Narrativ der Anleger zu einem übermütigen, nahezu ausschließlichen Blick in die Zukunft.
In der obigen Darstellung sind die Top 10 Aktien nach Marktkapitalisierung jeweils zum Ende eines Jahrzehnts dargestellt. Auch wenn einige Unternehmen mehrmals auftauchen, war der Wandel das einzig Beständige.
Der aktuelle Zyklus
Seit nunmehr 15 Jahren sind drei Trends intakt, die inzwischen viele, vornehmlich jüngere Marktteilnehmer als gegeben wahrnehmen, weil sie es gar nicht anders kennen. Diese Trends hängen zusammen:
- Outperformance der USA gegenüber dem Rest der Welt.
- Outperformance von Wachstumsaktien (Growth) gegenüber Substanzaktien (Value).
- Outperformance von großen und sehr großen Unternehmen gegenüber kleinen und mittleren Werten.
Die sogenannten „Glorreichen Sieben“ (Alphabeth bzw. Google, Amazon, Apple, Meta bzw. Facebook, Microsoft, NVIDIA und Tesla) stehen beispielhaft für diese drei Trends, denn es sind sehr große, amerikanische Wachstumsaktien – sogenannte Mega Caps.
Die Outperformance der USA hat historische Ausmaße erreicht. Weder in der Phase der „Nifty Fifty“-Aktien, noch während der Technologieblase 1999/2000 ist sie größer gewesen.
Die nachfolgenden Grafiken zeigen den Vergleich zwischen dem MSCI USA mit dem MSCI World ex USA sowie dem MSCI Emerging Market Index. In der linken Grafik ist der Zeitraum vor der Finanzkrise dargestellt, in der rechten die Zeit seitdem. Wie daraus zu erkennen ist, hat sich das Momentum mit der großen Krise vollständig gewandelt. Während US-Titel haussierten, waren es für die zuvor enorm haussierenden Aktien aus den Emerging Markets und auch Aktien aus den restlichen Industriestaaten verlorene Jahre.
Gleichzeitig hat sich das jahrzehntelang gültige Mantra „Value schlägt Growth“ umgekehrt. Value Aktien gelten typischerweise als niedrig bewertet und Value Investoren legen in der Regel mehr Wert auf bereits heute vorhandene Werte. Growth oder Wachstumsinvestoren schenken dagegen den zukünftigen Perspektiven der Unternehmen mehr Aufmerksamkeit und sind auch bereit, für höhere Wachstumsraten höhere Preise zu zahlen.
Der Nobelpreisträger Eugene Fama hat zusammen mit Kenneth French die Überlegenheit von Value Aktien gegenüber Growth Aktien anhand der US-Börse seit dem Jahr 1926 nachgewiesen. In der linken unteren Grafik ist dies für globale Aktien seit 1980 bis zum Eintritt der großen Finanzkrise dargestellt.
Mit der Finanzkrise wurde die Geldpolitik unkonventionell und immer expansiver. Sinkende Zinsen begünstigen Unternehmen, die stark wachsen: Je niedriger der Zins bzw. der Diskontfaktor, desto höhere Barwerte haben die zukünftigen Gewinne. Dadurch wurde Growth der bevorzugte Anlagestil (siehe nachfolgende rechte Grafik).
Begünstigend kam hinzu, dass insbesondere größere Unternehmen aus dem Growth Bereich in dieser Phase zum Teil auch über ein deutlich höheres Gewinnwachstum verfügten. Einige der „Glorreichen Sieben“ sind das beste Beispiel dafür. Das ist auch maßgeblich für die Schwäche von kleineren und mittleren Aktien gegenüber Standardwerten.
Dabei wachsen kleinere Unternehmen grundsätzlich schneller und profitieren von einem niedrigeren Ausgangsniveau. Sie sind flexibler und vielfach auch innovativer, da sie schneller auf Marktveränderungen reagieren können. Dies sind nur einige Gründe, warum kleinere Unternehmen oft eine bessere, wenngleich auch volatilere Kursentwicklung aufweisen als die großen Flaggschiffe. Ausnahmen sind solche Phasen, in denen die Börsenentwicklung von wenigen, großen Standardwerte geprägt ist. So war es in der Phase der „Nifty Fifty“, der Technologieblase 1999/2000 und auch derzeit ist es wieder so.
Diese Entwicklungen schlagen sich auch in den Bewertungen nieder. US-Aktien sind historisch be-trachtet immer teurer gewesen als ihre Pendants in anderen Regionen (siehe linker Bereich in der nachfolgenden Grafik), und gerade in den letzten Jahren waren sie der Konkurrenz aus dem Rest der Welt an Ertragskraft überlegen. Doch während alle anderen Regionen derzeit im Bereich ihrer historischen Durchschnitte (blaue Striche) bewertet sind, notiert der US-Markt inzwischen erheblich über den in der Vergangenheit typischen Niveaus (grüne Balken). Nur während der Tech-Blase 1999/2000 waren die Bewertungen höher.
Die Outperformance der großen Werte gegenüber den kleinen Aktien in den letzten Jahren hat natürlich auch dazu geführt, dass sich deren Bewertungen deutlich stärker ausgeweitet haben als die von Small Caps. Dies zeigt die rechte Hälfte in der nachfolgenden Grafik.
Die über Jahre hinweg wesentlich bessere Kursentwicklung von US-Aktien hat dazu geführt, dass US-Aktien inzwischen 73,9 % Anteil am Weltindex haben (Stand 30.11.2024). Doch je höher die Kurse steigen, umso größer wird das Vertrauen in die Zukunft, aber desto empfindlicher werden die Aktien gegenüber negativen Überraschungen. Auch Wettbewerbsvorteile währen nicht ewig. Aktionäre von Kodak, Cisco, AOL, Nokia etc. können ein Lied davon singen.
NVIDIA ist derzeit eine der Aktien mit der größten Zukunftsfantasie. Dagegen traut man dem US-Energiesektor derzeit nicht viel Potential zu. Dieser besteht aus 22 namhaften Unternehmen wie ExxonMobil. 1980 waren sowohl Exxon als auch Mobil noch als eigenständige Unternehmen in der Liste der weltweit größten Unternehmen.
Während alle 22 Energieunternehmen zusammengenommen mehr als doppelt so hohe Gewinne erzielen wie NVIDIA (Stand zur Jahresmitte), ist deren gesamte Marktkapitalisierung gerade mal halb so groß. Inzwischen ist der Börsenwert von NVIDIA sogar größer als die Marktkapitalisierung von fünf Ländern aus den G7 Staaten.
Die Gemeinsamkeit mit früheren Phasen ist, dass Aktien wie NVIDIA heute zum jeweiligen Zeitpunkt gleichsam als „unverwundbar“ angesehen werden. Der Unterschied gerade zur „Tech Bubble“ 1999/2000 ist jedoch, dass diese Aktien heute vor Finanzkraft strotzen. Trotz aller Profitabilität, die Missverhältnisse bleiben.
Konsequenzen für das Investieren – aktiv vs. passiv
Wir haben uns in unserer letzten Ausarbeitung „Investieren in Fonds“ mit den Unterschieden von aktiven und passiven Fonds auseinandergesetzt. Nun möchten wir eine weitere Komponente hinzufügen, denn der Erfolg von aktivem Management hängt nicht nur vom Können des Fondsmanagers ab, sondern auch vom jeweiligen Marktumfeld bzw. dem Stand im Börsenzyklus.
Beginnen wir mit dem Rausch der Technologie-Blase 1999/2000. Nach deren Platzen waren Nebenwerte und Emerging Market-Aktien sehr gefragt. Vielen global investierenden Managern ist es damals gelungen, allein mit einer ordentlichen Beimischung europäischer Nebenwerte den Weltaktienindex zu schlagen. Die eigene Recherche lohnte sich für Manager, denn bei Nebenwerten ist die Zahl der Analysten klein und die Informationseffizienz gering – gleiches galt damals auch für die Emerging Markets. Dadurch hatten aktive Fondsmanager die Möglichkeit Mehrwerte zu schaffen. Über ETFs auf den heute so beliebten MSCI World Index sprach seinerzeit niemand.
Derzeit haben wir aber den umgekehrten Fall. Die Konzentration im S&P 500 (Top 10 Aktien mit über 35 % Indexgewicht) wie auch im über 1.400 Aktien umfassenden MSCI World Index (Top 10 Aktien mit fast 25 % Indexgewicht) ist extrem hoch, denn gerade die Schwergewichte ziehen den Markt nach oben. Im 1. Halbjahr 2024 avancierte der S&P 500 um 15,4 %, 70 % der Aktien im S&P 500 hinkten hinter dieser Entwicklung hinterher, 40 % lagen sogar im Minus. Dadurch lag auch der S&P 500 Equal Weight Index, der alle Indexkomponenten gleich gewichtet, nur leicht im Plus.
Vermögensverwalter agieren übrigens eher wie ein gleichgewichteter Index, denn die Gewichte der Einzeltitel in einem Portfolio liegen vergleichsweise nicht allzu weit voneinander entfernt. Bei der Gewichtung der einzelnen Werte spielt die Marktkapitalisierung derselben praktisch nie eine Rolle.
In einem solchen Marktumfeld beschränkt sich der Anlageerfolg auf die Frage, ob und wie hoch man in den wenigen Gewinnern investiert ist. Dadurch schaffen es nur wenige aktive Vermögensverwalter, den Index zu schlagen.
In solchen Ausnahmephasen, in denen die größten Aktien eines Index auch weiterhin die beste Wertentwicklung haben, müsste man diese Titel übergewichten, um besser zu sein als der Index. Derzeit haben die drei größten Aktien im S&P 500, Apple, NVIDIA und Microsoft, Gewichtungen von 7,1 %, 6,6 % sowie 6,2 %. Im Nasdaq 100 Index sind zwei dieser drei Aktien sogar über 8 % gewichtet und selbst im MSCI World Index haben sie ein Gewicht zwischen 4,2 % und 5 %. Im DAX hat SAP inzwischen sogar eine Gewichtung von 15 % erreicht.
Kaum ein aktiver Manager hat solche Gewichtungen in seinem Fonds, zumal er aus regulatorischen Gründen nicht über 10 % gehen darf. Auch in den allermeisten Vermögensverwaltungsmandaten werden solche Gewichtungen nicht umgesetzt. Dagegen sind in einem solchen Marktumfeld ETFs im Vorteil, die die hohen Gewichtungen von Aktien unabhängig von Bewertungen nachvollziehen.
The Trend is your Friend, lautet eine alte Börsenweisheit. Aber je länger Trends andauern und je ausgeprägter sie sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich umkehren bzw. sich neue Trends etablieren. Wir haben einige Beispiele der Börsengeschichte kurz dargelegt.
So wird auch die gegenwärtige Phase mit der Stärke vieler Technologieunternehmen zu Ende gehen. Aber man weiß nie, wann es so weit ist und welche Auswirkungen es auf den Gesamtmarkt haben wird – nur eines ist gewiss, der Favoritenwechsel wird passieren.
Dann beginnt eine neue Phase, in der wieder mehr Aktien besser abschneiden als der Index und kleinere Werte sowieso. Für aktive Manager bedeutet dies Rückenwind, wenn die vormaligen, in den ETFs hoch gewichteten Highflyer nach unten durchgereicht werden. Denn sie können im Gegensatz zu einem passiven ETF Aktien hoch gewichten, die im Index kaum Gewicht haben und auch Titel ins Portfolio aufnehmen, die nicht im Index sind.
Ziel dieser Ausführungen ist es nicht, den Abgesang auf die USA oder auf die großen Tech-Aktien einzuläuten. Aber diese Trends befinden sich angesichts der bisherigen Länge, ihrer Intensität und den daraus entstandenen Missverhältnissen in sehr fortgeschrittenem Stadium.
Auch aufgrund des einseitigen, großen Optimismus sollten sie nicht uneingeschränkt in die Zukunft fortgeschrieben werden. Deshalb raten wir davon ab, das Vermögen ausschließlich in passive ETFs umzuschichten, zumal zum jetzigen Zeitpunkt. Diese mögen zwar derzeit als die besseren Investments erscheinen, da wie ausgeführt aktive Manager derzeit kaum in der Lage sind, ihre Benchmarks zu schlagen. Aber kein Trend währt ewig und gerade zu Beginn eines neuen Zyklus, wenn die bisherigen Gewinner zu Underperformern werden, sind aktive Managementstile im Vorteil gegenüber passiven Investments.