Hop oder Top?
Die derzeitige Börsensituation wird von vielen Marktteilnehmern zwar als nicht schlecht, aber trotzdem als unbefriedigend wahrgenommen. Speziell in Europa liegen die Aktienkurse noch ein gutes Stück hinter den Höchstständen des Frühjahres 2015 zurück und die ausgesprochen niedrigen, wenn nicht negativen Anleihenverzinsungen vervollständigen dieses Bild.
Das Jahr 2016 begann noch deutlich schlechter als es sich derzeit darstellt, die Aktienbörsen brachen nämlich deutlich ein. In der Zwischenzeit sind große Teile der Anfangsverluste nivelliert, doch insbesondere europalastig ausgerichtete Portfolien kämpfen vielfach nach wie vor mit der Performance-Nulllinie. In den letzten Monaten scheint die Börse nicht so richtig zu wissen wohin und zahlreiche Gespräche mit Vermögensverwaltern bestätigen dies.
Interessant ist, dass sich zuletzt zwei Lager herausgebildet haben. Da sind zum einen die Anhänger von Krisenszenarien, die sich auf Ereignisse wie eine Inflation, den Zerfall des Euro oder einen neuerlichen Kollaps der Finanzbranche einstellen. Und zum anderen gibt es diejenigen, die auf ein Anspringen von Wirtschaft und Börsen setzen. Vertreter dieser Fraktion schichten derzeit gerne defensive Aktien wie die der Nahrungs- und Genussmittelbranche in zyklische Titel um, während die erstgenannte Gruppe noch häufig große Liquiditätsbestände fährt.
Was auch immer die Zukunft bringen wird, so kann man trotz allem drei Dinge festhalten:
Der US- und der europäische Aktienmarkt haben sich in ihrer Entwicklung zuletzt weit voneinander entfernt. Während sich der US‑Markt immer wieder von All‑Time‑High zu All‑Time‑High entwickelte, liegt der europäische Markt gegenüber den Ständen vom April letzten Jahres noch mehr als 10 % zurück. Dies ist eine Entwicklung, die früher oder später zu einer Angleichung führen sollte, und damit ist der europäische Markt der derzeit interessantere Markt.
Die Hauptargumente der Anhänger von Krisenszenarien finden sich häufig auf der politischen Bühne: der Zerfall Europas, internationale Krisenherde wie die Ukraine oder Syrien, das Anwachsen populistischer Parteien u. ä. Politische Ereignisse haben erfahrungsgemäß nur kurzzeitig Einflüsse auf die Kapitalmärkte. Dies wurde zuletzt durch das Brexit-Votum belegt, denn außer dem Kursrückgang des britischen Pfundes, der wiederum durch einen Anstieg der britischen Aktienbörse kompensiert wurde, war aus heutiger Sicht dieses Votum für einen Kapitalanleger nahezu bedeutungslos.
Sollte es zu internationalen Krisen kommen, sind die „sicheren Häfen“ wie der US‑Dollar gesetzt. Weder hat sich eine neue Weltleitwährung ergeben noch gibt es eine neue Assetklasse, die allen Eventualitäten trotzt. Dies sind Dinge, die man in seiner Asset Allocation berücksichtigen kann und natürlich auch sollte. Darüber hinaus stellt sich stets die Frage nach dem Rückschlagspotential, und das sollte bei der derzeitigen Investitionszurückhaltung der Unternehmen moderat sein. Problematisch wäre in erster Linie ein umfangreicher Kapazitätsaufbau der Wirtschaft, der ins Leere läuft.
Das ganz Entscheidende ist aber, dass in Europa, in Nordamerika und vielen anderen Regionen auf der Welt die großen Befürchtungen der letzten Zeit auch Befürchtungen geblieben sind. Robuste Wirtschafts- und Unternehmensdaten, sehr gute Beschäftigungszahlen u. v. m. haben de facto die letzten Jahre geprägt. Zuletzt wurde beispielsweise für Deutschland gemeldet, dass öffentlicher Dienst und Großunternehmen zwar 180.000 Stellen abgebaut haben, im Gegenzug bei mittelständischen Unternehmen 460.000 Stellen geschaffen wurden, es bleiben per Saldo 280.000 zusätzliche Stellen. Sollte sich irgendwann die Meinung durchsetzen, dass die Welt doch nicht so schlecht ist, wie viele befürchten, sollte bei den derzeitigen Rahmendaten viel Luft für die Aktienkurse nach oben sein.