Navigation

Einen Schritt zurücktreten

Das Griechenland-Problem hat in den letzten Monaten einen Großteil der Medienpräsenz eingenommen. Neben dem sonderbaren Taktieren der Herren Tsipras und Varoufakis, waren beispielsweise auch der Zeit- und der Reiseaufwand, den die EU-Spitzenpolitiker für dieses kleine Land betrieben haben, erstaunlich. Wie das Verhandlungsergebnis, das die Staatspleite in letzter Minute verhindert hat, zu bewerten ist, wird vielleicht erst in einigen Jahren zutage treten. Es sind noch verschiedene Parlamentsbeschlüsse und Gesetze notwendig und diese müssen auch dauerhaft gelten und gelebt werden. Premier Tsipras hat durch die Vertagung zugesicherter Reformen wie der Frühverrentung bereits einen Rückzieher gemacht. Selbst wenn alles im positiven Sinne vollzogen wird, erwächst daraus noch nicht zwangsläufig die Lösung der wirtschaftlichen und finanziellen Probleme Griechenlands. Wir müssen uns darauf einstellen, dass einmal mehr Zeit gekauft wurde und diese irgendwann abläuft.

Aktuell gibt es zwei EU-politische Lager in Europa: zum einen das Lager, dem Deutschland, Finnland oder die Baltikum-Staaten angehören, und zum anderen das Lager um Italien und Frankreich, das gerne großzügiger mit Geld umgehen würde. Für das erste Lager genießt die finanzielle Disziplin oberste Priorität und ist für ein Gelingen des EUROs notwendig, das zweite Lager stellt diese Thematik hinten an und beansprucht für sich, den großen europäischen Gedanken in den Vordergrund zu stellen.

An den Börsen konnte man in den letzten Wochen verstärkt das Gefühl bekommen, dass dort das Griechenland-Thema zunehmend ausgeblendet wird, da man offenbar keinerlei brauchbare Schlüsse aus den Ereignissen ziehen kann. Parallel dazu kauft die EZB massiv Anleihen auf, die Zinsen bleiben sehr niedrig, wenn sie sich auch nicht mehr am Tiefpunkt befinden. Die Liquidität des quantitative easing befeuert Aktien- und Immobilienmärkte. Bei Letzteren gab es zuletzt zusätzliche Anreize, da der jüngste Zinsanstieg von vielen als Ende der äußerst günstigen Refinanzierungsmöglichkeiten gewertet wurde und bisweilen eine Art Torschlusspanik ausgelöst hat. Interessanterweise haben sich die Preise der Edelmetalle in den letzten Tagen massiv verbilligt.

Wenn wir einen Schritt von den Tagesergebnissen zurücktreten, wird schnell klar, dass das Gebäude der aktuellen EURO-Rettung in der derzeitigen Form die niedrigen Zinsen braucht, denn bei steigenden Finanzierungskosten würden die hohen Staatsschulden nicht nur für Griechenland problematisch werden. Man hat das Gefühl, dass die ‑ für unsere Begriffe ‑ wenig lösungsorientierte „Rettungspolitik“ der EURO-Länder diese Sondersituation der Zinsen nutzt, die EZB-Politik unterstützt dabei kräftig. Wenn aber die EURO-Staaten nicht über ein Verschleppen der Probleme hinaus kommen, werden irgendwann äußere Ereignisse Realitäten schaffen.

Wie könnte das aussehen? Ein mögliches Szenario kann ein Zinsanstieg in den USA sein, die letzten Äußerungen der FED konkretisieren sich zunehmend. Was würde dies dann aber auslösen? Der US-Dollar wird durch die steigenden US-Dollar-Zinsen attraktiver, Kapitalströme würden sich in diese Richtung bewegen, so dürfte auch der US-Dollar im Wert steigen. Kapital dürfte dann auch aus dem EURO-Raum abfließen, der EURO-Kurs dürfte schwächer werden und die Anleihe-Zinsen dürften nur mit Hilfe der EZB niedrig gehalten werden können.

Möglicherweise ist der jüngste Preisverfall des Goldes ein erster Vorbote einer solchen Entwicklung. Ein sicheres Opfer eines solchen Szenarios wären die Emerging Markets, da dort viele Gelder hingeflossen sind, um eine höhere Rentabilität als in den etablierten Währungsräumen zu erreichen. Neben dem Gold haben auch andere Edelmetalle und das Öl in den letzten Wochen massive Preisrückgänge verzeichnen müssen. Emerging Markets‑Länder, die Rohstoffe exportieren, dürften aufgrund des allgemeinen Verfalls der Rohstoffpreise der letzten Jahre ganz besonders in Turbulenzen geraten. Die Einigung mit dem Iran sollte auch nicht ohne Auswirkungen bleiben, insbesondere was den Ölpreis angeht.

Für EUROland dürfte sich eine prekäre Situation ergeben, denn einen Zinsanstieg kann man aufgrund des schwachen Wirtschaftswachstums in vielen Ländern ebenso wenig verkraften, wie aufgrund der genannten Verschuldungsproblematik. Hier dürfte die EZB mit aller Macht gegensteuern. Doch ab einem gewissen Punkt dürfte das Vertrauen in einen dann ohnehin schwächer werdenden EURO schwinden und die EZB muss sich die Frage stellen, wieweit sie eine solche Wechselkursentwicklung tolerieren will. Zudem dürften in einer solchen Konstellation sofort Preisauftriebstendenzen durch Importpreise und Vertrauensverluste in die eigene Währung aufkommen. Tritt ein solches Szenario ein, würde die Finanzpolitik ‑  insbesondere in EUROland ‑ vor Realitäten gestellt werden, die deutlich härter sind als die aktuell gegebenen und die deutlich weniger Spielräume lassen. Und dann kommt man nicht mehr an der Realität vorbei ‑ wie es der eine oder andere Politiker zu versuchen scheint.