Der EURO braucht Europa – aber braucht Europa den EURO?
Während sich in Griechenland die neue Regierung formiert und damit die Frage einhergeht, wie Griechenland die Beschlüsse des im Juli beschlossenen dritten Rettungspakets umsetzt, tritt immer deutlicher hervor, dass mit diesem Rettungspaket keinesfalls „das Griechenland-Problem“ gelöst ist.
Wesentlicher Knackpunkt ist die Tatsache, dass in der Zeit, in der die drei Rettungspakete beschlossen wurden, keinerlei substanzielle Maßnahmen eingeleitet wurden, die ein wirtschaftliches Erstarken Griechenlands einleiten könnten. So verwundert es nicht, wenn einerseits viele Bürger aus dem Euroland Sorge haben, dass gutes Geld schlechtem hinterhergeworfen wird, und andererseits wenn die Griechen ebenso unzufrieden mit der laufenden Entwicklung sind. Beachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Notwendigkeit solcher Maßnahmen kaum in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, und schon gar nicht, wem diese Aufgabe primär zufällt.
Es sollte also nur eine Frage der Zeit sein, wann das vierte Rettungspaket notwendig werden wird. Eine ebenso brisante Frage dürfte sein, wie viele Rettungspakete und wie viele Milliarden EURO noch beschlossen werden, bevor das System zerbricht. Bisweilen kommt einem der Gedanke „Hoffentlich bald!“, damit die Gesamtrechnung nicht zu groß wird. Für die verantwortlichen Politiker scheint es in erster Linie darum zu gehen, dass in ihrer Amtszeit nicht „die große Rechnung“ aufgemacht wird. Oder gibt es doch noch die an ein Wunder grenzende Wende in Griechenland?
Mit der Einführung des EURO wurde der Abwertungsmechanismus abgeschafft und Länder, die ihre Produkte traditionell über den Preis verkauft haben, laufen in zunehmend größere Schwierigkeiten hinein, weil ihre Produkte schlichtweg zu teuer geworden sind, und sind somit in eine Abwärtsspirale geraten. Entweder schaffen es Länder wie Griechenland auf ein Produktivitätsniveau wie Deutschland zu kommen oder sie werden dauerhaft aus der Gemeinschaft alimentiert werden müssen. Doch wollen wir uns anmaßen, den Südeuropäern in einer Art Crash-Kurs unseren Arbeitsmodus zu verpassen? Oder wollen diese Länder alternativ als Wohlfahrtsstaat am Tropf anderer hängen?
Eine große Antriebsfeder des europäischen Einigungsprozesses, der gebetsmühlenartig immer wieder mit dem Überleben des EURO gleichgesetzt wird, kommt zu großen Teilen aus der Wahrnehmung, dass neben den USA derzeit China als riesiger Wirtschaftsblock entsteht und möglicherweise weitere hinzukommen werden, beispielsweise mit Indien. Hier besteht die Befürchtung, dass die einzelnen europäischen Länder zu klein sind, um dauerhaft eine relevante Rolle spielen zu können.
Das Thema der Größe gibt es aber im Wirtschaftsleben schon immer. Neben großen Konzernen gibt es ‑ gerade in Deutschland ‑ die große Gruppe der mittelständischen Unternehmen, hinzu kommen viele Klein- und Kleinstunternehmen. Wenn wir den Mechanismus, den viele für die Weltwirtschaft erkannt haben wollen, analog auf die Welt der Unternehmen übertragen wollten, müssten wir möglichst schnell unsere deutschen Mittelständler zu großen Konzernen fusionieren. Aber ist das genauso eingängig?
Keine Frage, wir profitieren von einem Europa mit einem geschlossenen Auftreten, der politische Einigungsprozess muss weiter vorangehen. Wir dürfen uns nicht wie in der Vergangenheit bekriegen, sonst geht es uns vielleicht irgendwann wie der Stadt San Gimignano in der Toskana, wo sich zig Geschlechter so lange bekämpft haben, bis das große Florenz von außen kam und es unter seine Fittiche nahm. Wir dürfen uns jedoch alle nicht überfordern. Beispielsweise wieviel staatliche Souveränität sind selbstbewusste Völker wie Frankreich tatsächlich bereit, an Gesamteuropa abzugeben? Das britische Beispiel ist vielleicht repräsentativer als man glaubt.
Wenn Politik mit dem Betrachten der Wirklichkeit beginnt, dann ist es vielleicht an der Zeit, uns die eine oder andere Realität einzugestehen und auch Irrwege abzubrechen. So, wie es derzeit ist, verdammen wir viele Griechen zur Arbeitslosigkeit und zahlen dafür selbst einen sehr hohen Preis. Wenn wir stattdessen unsere Europapolitik weniger auf wirtschaftliche Belange, sprich den EURO, und mehr auf politische Belange wie Verteidigungs- und Außenpolitik ausrichten, gewinnen wir wahrscheinlich mehr und zahlen weniger. Die EURO-Politik ist ein sehr gutes Beispiel für das in den letzten Jahren häufig kritisierte Primat der Wirtschaft gegenüber der Politik. Wenn notwendige Korrekturen ausbleiben, dürfte das weniger zum Erreichen der illusorischen Ziele als zu einem fatalen Erstarken radikaler politischer Kräfte führen.
Wenn wir keine Korrekturen am System vornehmen und den finanziellen Rahmen immer weiter ausdehnen, nur um an Realitäten vorbei zu kommen ‑ was bekanntlich dauerhaft nicht funktioniert ‑ dann werden wir mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann eine Korrektur erfahren, die wir nicht mehr steuern können. Und dann dürfte es für uns alle teuer werden. Dann geht es für die Kapitalanleger wahrscheinlich nicht mehr um Vermögensmehrung, dann werden wir wohl alle ärmer werden und es geht nur noch darum, nicht arm zu werden, um anschließend weiter machen zu können.